Cáceres – Casar de Cáceres (11,2 km)
Wir haben unsere erste Etappe geschafft! Juhu! In dem verschlafenen Dörfchen „Casar de Cáceres“ in der Bar Majuca sitzend, es ist circa 16:04 Uhr, warten wir auf die Bedienung. Seit 15 Minuten! Sind hier Nicht-Spanier grundsätzlich unsichtbar oder was? Völlige Ignoranz. Vielleicht ist das auch das spanische Tempo. Is mir egal, nach so langem Warten vergeht mir der Hunger. Und sowieso fühl ich mich nicht wohl. Trotz Jacke an friere ich, die spanische am Nebentisch beschallt lauthals den Raum, ich weiß nicht wann und wo ich nachher essen kann. Und außerdem werde ich mit Spanien nicht warm. Das ist nichts für mich. Das sollte ich jetzt besser nicht sagen. Ich trinke Café con Leche und schreibe dabei Tagebuch.
Unsere gestrige Ankunft in Cáceres kurz vor Mitternacht hat uns noch einen völlig unerwarteten Abend bereitet. Angekommen sind wir am verlassenen Busbahnhof, konfrontiert mit den Fragen „Wo sind wir hier eigentlich? Und wie im alles in der Welt kommen wir hier weg?“ Menschleer, irgendwo im Nirvana. Beim Blick auf die Bahnhofsuhr wird mir schlecht: 23.25 Uhr. Na dann herzlichen Glückwunsch!
Vorm Bahnhof treffen wir auf eine nette 3-köpfige Familie die uns anbietet (mit Händen und Füßen auf spanisch) für uns ein Taxi mitzubestellen. Super Idee! 30 Sekunden Erleichterung in Dannis Kopf. Mit dem Reiseführer in der Hand und Finger auf gemerkte Seite, lenken wir den Taxifahrer zur städtischen Herberge. Und er fährt und fährt und fährt… gut dass wir nicht auf die bescheuerte Idee gekommen sind heute abend schon loszulaufen. Da bin ich konsequent: pilgern geht erst morgen los! Heute fühl ich mich noch nicht so.
Ziel erreicht, mit freudiger Erwartung auf eine weiche Unterlage und eine erste Nacht im Schlafsack, geht’s rein in die Herberge. Die Herbergsleiterin schlurft aus der Ecke, würgt unsere Frage auf englisch nach einem Zimmer in der Hälfte ab mit meinem bereits gelernten spanischem Lieblingswort: „Completo!“ Ja, da machste nichts. Ist der guten Frau auch so ziemlich egal, dass wir wahrscheinlich draußen schlafen müssen und wir dann Gefahr laufen zu erfrieren. Ich dachte vor Pilgern hätte man etwas mehr Respekt und würde jedem einen Schlafplatz geben, jedem in der Not helfen. So ist das doch im Christentum… Nächstenliebe und so.
Die Hoffnung wächst: die Stadt lebt, wie am Tag. Klar, heut ist ja auch Karfreitag! Durch die Straßen strömen Menschen, jung und alt, Kinder und Rentner. Alles ist wach. Und laut, unbeschreiblich laut. Hab das Gefühl aufzufallen, zwischen all den leichtbekleideten rassigen Spanierinnen und den stolzierenden Spaniern. Trotz unserer schweren Ladung auf dem Rücken und der voll equipten Wandermontur, werden wir gar nicht beachtet. Dafür sind die Spanier auch zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Leicht verwirrt und müde schleifen wir uns durch die Stadt (ja, es ist eher eine Stadt als ein Dorf), auf der Suche nach einer warmen Schlafmöglichkeit. Leider wird unsere Vermutung wahr: es scheint alles wirklich alles ausgebucht zu sein. Ist denn das gesamte Umland fürs Wochenende hier um zu feiern?
Im Hostal Caratero stirbt unsere Hoffnung dann ganz: der junge Hotelier schüttelt mit dem Kopf und erklärt mit gebrochenen englisch, dass wir das heute voll vergessen können. Ich seh uns schon wir zwei Penner in unseren Rucksäcken mit roten Nasen auf den kalten Steinen des Markplatzes liegen. Er bietet uns an eine Liste von alle Hotels, die er vorliegen hat, für uns durchzutelefonieren um nachzufragen ob es noch ein Zimmer für zwei verpeilte Pilger gibt. Eine riese Hilfe: ohne Spanisch hätten wir uns mit Sicherheit zum Volldeppen gemacht! Sein Kopfschütteln verbessert unsere Lage nicht. Dann, seine Augenbrauen ziehen nach oben, doch noch ein Hotel! Er greift zum Zettel und Stift um uns den Preis mitzuteilen und zu fragen ob das was für uns ist. Ok, wenns jetzt mal 50 Euro kostet können wir ja mal ne Ausnahme machen. Er schreibt: 150 Euro. Soll das nen Scherz sein? Sehen wir etwa aus wie zwei Schiki-Miki-Großverdiener? Der will uns doch bestimmt nur abziehen! Schön Provision kassieren? Der Hotelier guckt uns fragend an. Eine Entscheidung muss her: draußen schlafen oder in der Luxusbude. Engel rechts, Teufel links. Ich will nicht sterben. Wir nehmen das Hotel.
Ungeschminkt, Haare auf halb acht, ausgeleierte bequeme Wanderklamotten, Riesenrucksack umgekippt auf dem Boden, die Kreditkarte aus dem militärgrünen Brustbeutel fummelt, hängen wir auf der Marmortheke eines schnieken 4 Sterne Hotel. Uns erwarten so einige Annehmlichkeiten, die man sich vorstellen kann (Hab ich da eben etwas mit Spa gelesen?) und die wir in den nächsten 10 Tagen mit 100 prozentiger Sicherheit nicht haben werden. Vom Pilger zum Luxus-Pilger. Den Ruf haben wir jetzt weg…
Am nächsten Morgen, dem heutigen Tag, verlassen wir schnell und leicht verschämt das Hotel, voller Elan endlich loszupilgern. Da heute eine relativ kurze Strecke von knapp 10 km vor uns liegt, haben wir noch genug Zeit uns das nette Städtchen bei Tageslicht anzuschauen. Beim Stöbern in den Reiseführern hatte ich mir unter Cáceres ein kleines Dorf mit maximal 200 Einwohnern vorgestellt. Nein Danni, in Spanien gibt es auch mittelgroße Städte wie in Deutschland auch… Die alte Römerstadt ist beeindruckend und gleichzeitig niedlich! Erinnert mich an die Kulisse von dem Film „Chocolat“. Mit Stadtplan in der einen und Kamera in der anderen Hand durchstreifen wir die Strassen. Unsere Intuition leitet uns. Dank der frühen Uhrzeit finden wir die Gebäude und Gassen fast einsam vor. Den gestrigen Stress bereits vergessen, lasse ich den Blick unbeschwert über die Stadt gleitet. Von der Kathedrale hier oben hat man einen weiten Blick über die Dächer der Stadt. Die Landschaft in der Ferne, die in den nächsten Tagen „unser“ Territorium sein wird, winkt uns von Weitem zu. Die vielen vielen Storche blicken uns aus ihren Nestern auf Augenhöhe zu. Fast auf jedem Dach ist mindestens ein Nest! Sie sind das ganze Jahr über hier im warmen Spanien und so verbreitet wie bei uns Sperlinge oder Spatzen. Ok, der Vergleich könnte hinken, ich bin bei dem Thema nicht sooo bewandert. Auf jeden Fall gibt es hier viele Storche. Ich hab noch nie einen so nah live gesehen: die kenn ich nur ausm Fernsehen!
So langsam wird es lauter in der vorher so stillen Stadt: weitere traditionelle Osterprozessionen stehen an. In aufwendig genähten Gewändern, zieht eine Kapelle an uns vorbei. Welch ein Schauspiel! Aus einer Seitenstrasse zieht ein als Jesus verkleideter Mann, barfuß an Kette mit Kreuz auf dem Rücken. Zeit uns den Rucksack auf den Rücken zu schnallen und das Städtchen zu verlassen…
Ausgecheckt, Luxus ade, Pilgerabenteuer es kann losgehen. Hochmotiviert geht es über Asphalt raus aus der Stadt. Kurze Pause: ich muss den Rucksack nachschnallen. Weiter. Hmm, ganz schön öde hier. Kann man unser Ziel eigentlich von hier schon sehen? Und wie viel Abstand war das noch von einem schwarz-weißen Pfahl am Straßenrand zum anderen? 100 Meter? Damit könnte ich ja ausrechnen wie schnell wir wie weit kommen… Stopp, kurze Pause: ich muss meine Jacke ausziehen. Zu heiß. Ok, weiter. Endlich geht’s auf nem Feldweg weiter, aber immer noch parallel zur Strasse. Super Erholung wenn man die Autos noch hört. Das hab ich mir irgendwie entspannter vorgestellt. Wie viel Kilometer haben wir jetzt eigentlich geschafft? Schon die Hälfte? Kurz mal Pause: ich muss mal. Wow, da kommt uns eine Schafherde entgegen und wir laufen mittendurch. Ich bin begeistert! Das ist eine kurze Stehpause wert! Foto und weiter. So langsam brummelt der Magen. Ich habe schon Hunger. Wir könnten eigentlich ne Pause machen. Vor einer Steinmauer lassen wir uns im Gras nieder, essen unsere ersten Vorräte aus dem Kiosk der Busstation weg (leichte Panik: soll ich alles essen? Gibt es im nächsten Ort nen Supermarkt? Heute ist ja Karfreitag!). Erste Konkurrenzpilger streifen an uns vorbei (die nehmen uns bestimmt den Schlafplatz weg).
Bis zu unserem Ziel sind es ab der Pause nur noch etwa eine halbe Stunde. Kaum im Ort, checke ich erstmal mit meinem Rundumblick ob es hier einen Supermarkt gibt. Joah, sieht ganz ok aus. Eine Bar, aha. Da könnte was gehen. Aber erstmal zur Herberge, Platz sichern. Nachmittags um 15 Uhr… Dort angekommen empfängt uns direkt die Dorfpennerin und weint uns wie auf Knopfdruck die Tränen aus den Augen. Nach 2 Zigaretten, 5 Minuten lächelndem Zuhören und 1 Euro in die Hand gibt sie Ruhe und ist gleich viel besser drauf. Wie können in Ruhe unsere erste Herberge begutachten. Offene Räume, ohne Aufpasser, Küche, Aufenthaltsraum, Trockner, Duschen, circa 12 Hochbetten in einem offenen Raum, bunte Wände, Sonne scheint durch die Lamellen vor den Fenstern… ich bin begeistert! Echt sehr schön! Fühle mich wohl hier. Und alles umsonst bzw. gegen eine kleine Spende. Nach der Luxusnacht jetzt auch angebracht…
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