Tajo Stausee – Canaveral (11,8 km)
Wesentlich ausgeschlafener als am Tag zuvor, stehen wir um 7:30 Uhr auf und frühstücken entspannt zusammen mit Oliver. Es gibt Toast, verschiedene Marmeladen, Jogurt, Obst, Tee und Kaffee. Für mich ist es ein Genuss, wie ein üppiger Sonntags-Brunch. Heute wollen wir uns nicht stressen lassen. In gemütlichem Tempo packen wir unseren Rucksack und schlürfen noch einen Kaffee in der Morgensonne. Die anderen Pilger laufen vor uns los, aber ich weiß, dass wir sie wieder treffen. Später eben.
Über einen steilen Hügel geht es durch Olivenhaine weiter auf unserem Weg. Wir sind mitten in der Natur, weg von der Strasse, das Knirschen unserer Schuhe auf den Steinchen unter uns, die Sonne wärmt das Gesicht. Die steinige Strasse führt uns durch ein Meer an Blumenbüschen. Erst als ich über die weiten Hügel blicke, erkenne ich, dass die Büsche überall verstreut sind. Immer wieder in der selben Farbkombination: die Rosenbüsche mit den weißen Blüten, dem lila Tupfer und dem gelben Stängel. Wie farblich abgestimmt passend dazu die gelben Ginsterbüsche und die lila Büsche. Ich pflücke je eine der Blumen und trockne sie als Erinnerung an dieses Erlebnis in meinem Notizbuch. Neben diesem visuellen Wunder, überwältigt mich der frische Duft der Büsche. Wir sind mitten in diesem bunten Dufterlebnis, wie menschgroße Bienen, die durch die Luft fliegen. Inspiriert von den Blumen, richte ich in meinem Kopf wieder virtuell den Balkon ein: Welche Pflanzen würde ich wo hin pflanzen? Welche Möbel wo platzieren? In meinem Kopf entsteht eine Oase, fast so schön wie hier an diesem Ort.
Kurz vor Canaveral lassen wir uns auf einer Wiese mitten in den Rosenbüschen zu einer weiteren Pause nieder. An diesem Tag ist uns danach, dieses Naturschauspiel mehr zu genießen anstatt nur daran vorbei zu laufen. Wir blättern in unseren Reiseführern und überdenken noch einmal unsere anstehende Tour. Müssen wir genauso laufen? Müssen wir heute noch mal 10km weiterlaufen? Um mit weniger Druck weiterzulaufen, beschließen wir heute nur bis Canaveral zu pilgern und dort die Nacht zu verbringen. Sollten wir dann bei der noch anstehenden längsten Route von 38km Probleme bekommen, würden wir diese auch mit dem Bus überspringen. Diese Entscheidung nimmt mir in diesem Moment den Ballast von den Schultern. Entspannt lasse ich mich ins Gras fallen und schließe die Augen. Wieder döse ich in kurzer Zeit weg, bin mit den Gedanken ganz woanders. Dies ist der Moment, in dem der Urlaub bei mir angekommen ist.
Canaveral ist ein absolut idyllisches, spanisches Dörfchen. Einmal durch den Ort geschlendert, checken wir im einzigen Hostal des Ortes (Hostal Malaga) ein. Mit Händen und Füßen, einem Mix aus italienisch und unserem aus-dem-Wörterbuch-spanisch, buchen wir ein Zimmer. Ohne Frühstück. Zu Essen wird sich schon was finden. Gab ja bisher immer irgendwie was. Rucksack abgestellt, kurz unter die Dusche (ein Traum!), geht es hungrig und mit viel Zeit im Gepäck in das Dorf. Wir setzen uns auf die Terrasse einer Bar, die wir schon bei unserem Ankommen entdeckt haben. Dort saß eine Familie, die sehr sehr leckere Sachen verspeist hat… wir lassen uns die Karte geben und rätseln fleißig was das alles wohl heißen mag. Ich versteh kaum ein Wort. Ok, Bocadillos sind so was wie Brötchen, Queso ist Käse, Jamon ist Schinken… am Ende essen wir ganz einfach Hamburger und Pommes. Und Garnelen als Tapas quasi. Und Aqua sin Gaz. Das kann ich schon alleine auf spanisch bestellen.
Essen ist sooooo gut. Und jetzt noch ein Cafe con Leche zum Abschluss. Und noch so einen süßen Nachtisch, wie unser Tischnachbar ihn auch gerade futtert. Doch der Kellner will uns einfach nicht sehen. Er ist viel zu sehr mit dem Fußballspiel und seiner vollen Bar beschäftigt. Was für ein Schauspiel: die Bar ist bis zum Rand gefüllt mit Spaniern, laut grölend, Vogelkerne essend (die Schalen landen auf dem super dreckigem Boden… wie so oft in den Bars hier im Land). Endlich schaffe ich es den Kellner abzufangen und bestelle fein auf spanisch zwei Kaffee. Mein Spanisch wird immer besser, die Freundlichkeit der Spanier dadurch auch.
Voll gefressen, schlendern wir durch das verschlafene Dörfchen. Die Nachmittagssonne liegt sanft auf unseren Schultern. Es war eine gute Idee hier einen Stopp einzulegen und zu bleiben. Wir beobachten die Storche in ihren Nestern auf der Dorfkirche und versuchen sie in ihrem Anflug zu fotografieren. Weiter an der altrömischen Stadtmauer lang, kommen wir an Feigenbäumen und Gemüsegärten vorbei. Der abgelegene Friedhof weckt unser Interesse. Zurückhaltenden betreten wir den stillen Ort, betrachten die Gräber. Anders als bei uns, in verzierte Mauern gestapelt. Ein seliger Ort. Einzig das Geräusch der blökenden Schafe und der läutenden Dorfkirche ist in diesem Moment existent. Vor der Kirche auf dem Marktplatz, beobachten wir ein weiteres traditionelles Ereignis. Eine Gruppe singender Männer und Frauen tragen den heiligen St.Benito als Puppe durch das Dorf. Es wird lauthals mitgesungen, getanzt und Raketen angezündet. In diesem Moment in der Abendsonne merke ich wie Spanien in meinem Herzen angekommen ist.
2 Kommentare zu “Via de la Plata (Tag 04): Siesta im Herzen”