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Irland, Heimat meiner Kindheit

Unterwegs im Westen der grünen Insel

Irland, das Land der unberührten Natur, des endlosen Himmels, der rauen Küsten und der Menschen mit dem Herzen am richtigen Fleck. Das Land, in dem ich jeden Sommer meiner Kindheit verbrachte, in dem wir als Familie im Wohnwagen am See lebten, in dem meine Schwester und ich wie zwei Abenteurer durch Büsche und Wiesen streunten, in dem wir mit unserem Vater raus zum Angeln fuhren und mit unserer Mutter Blaubeeren sammelten. Das Land, in dem ich jedes Mal die Zeit vergesse, in dessen Natur ich ohne Zutun ruhig werde, in dem ich das Gefühl habe zuhause zu sein. Das Land, in dem ich meinem Vater am nächsten bin.

Jeder Stein auf der Straße, jeder kühle Windhauch, jeder noch so kleine Winkel in Irland weckt in mir ein Gefühl von starker Verbundenheit. Es ist das Gefühl von „nach Hause kommen“, von „sich am richtigen Platz fühlen“ oder auch von „mit sich im Reinen sein“. Als ich nach 4 Jahren Pause diesen Sommer wieder nach Irland reise, kehrt dieses Gefühl zurück, als hätte ich es nie verloren. Soweit ich zurück denken kann, war es immer schon da. Ob als Teenie, wenn ich mich nach 6 Wochen Sommerferien in Irland zurück im heimatlichen Deutschland wie ein Fisch auf dem Trockenen gefühlt habe… oder nun als Erwachsene, wenn ich beim Klang irischer Musik vor Sehnsucht in Tränen ausbrechen könnte.

Wann hat das angefangen? Wahrscheinlich schon im Bauch meiner Mutter, als diese schwanger mit mir in Irland am See saß und strickte. Vor über 30 Jahren sind meine Eltern schon regelmäßig nach Irland gereist. Mein Vater hauptsächlich zum Angeln, meine Mutter mit großer Liebe für die Natur. Nach und nach wuchs ihr gemeinsamer Wunsch dort intensiver Zeit zu verbringen. So ergab sich die Gelegenheit ein Stück Land am See im Westen Irlands zu kaufen. Land, das heißt kein Strom, kein Wasser, nur Wiese, der See und ein paar Kühe drumherum, mehr nicht. Kurz darauf erstanden sie einen kleinen Wohnwagen, stellten ihn auf dem Grundstück ab und bastelten daraus mit der Zeit ein gemütliches, kleines Häuschen. Jahr für Jahr kam ein Bereich dazu: von der Toilette mit Abwassersystem, über einen Anbau mit Dusche bis zum eigenen Garten, so dass am Ende ein beschauliches kleines Häuschen am See stand. Auch die Familie wuchs: erst kam ich dazu, dann drei Jahre später meine Schwester. Und jeder Sommer in Irland sollte fortan an unserer sein… jetzt schon seit über 30 Jahren.

In unserer Familie wurde Irland zu einer kollektiven zweiten Heimat. Anders als bei anderen Kindern unseres Alters, haben meine Schwester und ich damals nie gemeckert über Urlaub mit den Eltern.

Die verwilderten Wiesen waren unser Revier, die einsamen, steinigen Strände unser Spielplatz. Aus ovalen Steinen bauten wir Figuren, aus alten Brettern ein Kinderhaus, eine große Wurzel im Garten war unser Auto und mit Mamas Lockenwicklern drehten wir uns schräge Frisuren. All das, was es in Irland und nicht bei uns in Deutschland zu kaufen gab, war für uns wie ein Heiligtum. Waren es damals Dinge wie Irish Breakfast und eine Puppenstube mit Tierfiguren, ist es heute Rollo und Cadbury Schokolade. Der Import dieser Dinge war schnell aufgebraucht, so dass sich mit der Zeit andere, irische Gewohnheiten in unserer Familie nachhaltig entwickelten.

Antike Möbel aus Irland füllen noch heute die Räume meines Familienhauses in Deutschland. Meine Mutter entwickelte früh einen Faible dafür und entdeckte bei jeder Gelegenheit in Irland eine neue, verstaubte Rarität. Darüberhinaus blitzt in jedem Raum des Hauses ein irisches Detail auf: ob ein keltisches Kreuz neben dem Hauseingang, Fotos von Klippen und Meer an den Wänden oder der goldene Klopfer an der Haustür. Auch der heimische Garten meiner Mutter lässt vermuten: hier hat jemand eine Vorliebe für üppige, farbenreiche Pflanzen, ganz so wie man es von Irland her kennt. Mein Vater pflegte in Deutschland weiter sein ruhiges Hobby: das Angeln. Im Angelverein fand er Gleichgesinnte und fischte fleißig im Vereinssee, wenn es gerade nicht nach Irland ging. Die irische Musik erfüllte sein Herz gleichermaßen wie das der gesamten Familie, nur dass er selber auch noch im Chor sang oder versuchte auf verschiedensten Instrumenten zu spielen. Mal besser, mal eher bemüht. Unser Haus füllte sich mit Gegenständen aus Irland, unsere Freizeit drehte sich mehr und mehr um dieses Land.

Kaum verwunderlich, dass mein Vater vor etwa 20 Jahren auch beruflich mit Irland in Kontakt kam. Wie der Zufall (oder wieder die Bestimmung?) es wollte, sprach ihn eines Tages ein Ire beim fischen am Fluss von Galway an. Während sie ins Gespräch kamen, über das fischen, Irland und das Leben an sich, fragte der Ire meinen Vater irgendwann, ob er Interesse daran hätte irischen Lachs nach Deutschland zu importieren. Damals noch im kleinen Stil, vom irischen Familienbetrieb, wild gefischter und eigens geräucherter Lachs. Mein Vater war interessiert, fing an, arbeitete sich rein, beschäftigte sich mit neuer Materie, gründete ein eigenes Business, entwickelte sich weiter, baute neben seinem festen Job eine neue Tätigkeit auf und war dann auf einmal Geschäftsführer eines erfolgreichen Unternehmens für Import von irischem Lachs. Während dieser Zeit entwickelte sich natürlich auch unsere gemeinsame, familiäre Beziehung zu Irland weiter: wir gewannen in irischen Geschäftspartnern irische Freunde, der irische Lachs wurde zum Markenzeichen unseres Vaters, das er überall mit sich trug. Soweit bis mein Vater Mitte der 90er Jahre zum Pionier wurde, indem eine eigene Öko-Aquakulutur in Irland aufbaute, wodurch er die Zucht von irischem Bio-Lachs ermöglichte. Dieser Biolachs war damals „der erste, der nach den Naturland Richtlinien zertifiziert wurde“. Zudem Zeitpunkt war Irland längst mehr als nur ein Urlaubsland für ihn. Es war sein Land geworden, mit dem er unmittelbar verbunden war.

Viele Jahre entwickelte er diese, aus einem zufälligen Gespräch entstandene Idee weiter zu einem sehr erfolgreichen Unternehmen und zu seinem Lebenstraum. Um so heftiger traf ihn, und allesamt uns Menschen um ihn, der Moment, als er geschäftlich betrogen und menschlich hintergangen wurde. Mit dem Unternehmen zerbrach vor über fünf Jahren sein Traum, und damit leider auch sein Herz. Wie mit einer Welle verloren wir ihn, das Unternehmen, den Bio-Lachs und ein Stück weit auch Irland. Vier Jahre lang war ich nicht mehr dort. Diesen Sommer war es seitdem das erste Mal.

Jeder Stein auf der Straße, jeder kühle Wundhauch, jeder noch so kleiner Winkel in Irland… erinnert mich an meinen Vater, an die glückliche Zeit, die er dort hatte.

Alles an diesem Land hat er geliebt: das raue, unkontrollierbare Wetter, die freundlichen, oft verschrobenen Menschen, die Stille und Einöde, die Kultur, die Musik, das Essen, alles. Soweit ich mich erinnern kann, war Irland für ihn der Inbegriff des Glücks. Auch wenn mir bewusst ist, dass mein Vater das Negative dieses Landes nicht sehen wollte, Irland sehr oft idealisiert hat und sich neben dem Inbegriff auch ein Luftschloss des Glücks baute, so ist es dennoch das Land, das ihn restlos glücklich machte. Und das gibt mir heute Trost.

„Papa, Du bist im Wasser. Das Wasser ist überall. Ich bin bei Dir.“
In Erinnerung an meinen „irischen“ Vater und die Heimat meiner Kindheit

Landlinien wurde Anfang 2009 von Designerin Daniela Klütsch gegründet. In ihrer Agentur daklue beschäftigt sie sich hauptberuflich mit Kommunikation für nachhaltige Unternehmen. Wie beim Reisen spielt auch dort das Thema „Entschleunigung“ eine große Rolle. Wenig kommunizieren, dies aber bewusst, achtsam sein, mit sich selbst und seiner Umwelt… das sind Gedanken die sie Tag für Tag antreiben

8 Kommentare zu “Irland, Heimat meiner Kindheit

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