Das Aostatal ist nicht nur eine landschaftliche Augenweide, sondern auch ein kulinarisches El Dorado. Der Aostaner an sich genießt ganz offensichtlich sehr gerne, was man an den vielen verschiedenen und speziellen Leckereien erkennt, die hier mit viel Tradition, Sorgfalt und Liebe hergestellt werden. Ganz besonders versteht man sich hier in Produkten, die viel Erfahrung und Geduld erfordern und deren Rezepturen seit Jahrhunderten an die Nachfahren weitergegeben und immer weiter perfektioniert wurden. Wein, Käse, Schinken und Brot, um nur vier Höchstdisziplinen der Aostataler zu nennen. Eigentlich braucht man nicht viel mehr, um gut ernährt zu leben
Der berühmte Speck des Maison Bertolin
Da der Anbau der Rohstoffe und die Weiterverarbeitung zu fertigen Produkten sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, geht es hier sehr gemütlich zu. Will man ein gutes Ergebnis, dann dauert es eben, wenn Dinge wachsen und reifen müssen. Das wissen unter anderem auch die etwa 30 Mitarbeiter des Maison Bertolin, einem handwerklich arbeitendem Betrieb in Arnad, wo unter anderem der bekannte Speck Lardo di Arnad DOP hergestellt wird. DOP steht für eine geschützte Ursprungsbezeichnung und bedeutet, dass die Erzeugung, Herstellung und Verarbeitung in einem bestimmten geografischen Gebiet erfolgen muss.
Man kann im Gebäude durch Fenster in die Herstellungsbereiche hineinsehen und den Metzgern live bei der Arbeit zusehen. Weiterhin befinden sich noch zwei Verkaufsräume und ein Verköstigungsbereich unter dem Dach des beschaulichen Familienbetriebes. Den Verköstigungsbereich habe ich dann auch mal genauer unter die Lupe genommen und bei einem Glas Rotwein verschiedene Arten Salami, Schinken, Trockenfleisch, Geräuchertes und Wurstsorten verkostet. Neben den Fleischprodukten wird hier auch noch ein ausgezeichnetes kaltgepresstes Nussöl aus handverlesenen Walnüssen mit einem besonders niedrigem Säuregehalt hergestellt.
Loc. Champagnolaz 10, Arnad (Aosta)
www.bertolin.com
Viel Aufwand für einen guten Tropfen
In Villeneuve befindet sich das Maison Anselmet, eine kleine aber feine Winzerei, die auf einer kleinen Anhöhe liegt. Die Familie Anselmet kaufte bereits 1585 ihren ersten Weinberg, aber es wurde nicht in allen Generationen Wein produziert. Renato Anselmet entschloss sich 1978 schließlich dazu, diese Familientradition fortzuführen und gründete 2001 auch offiziell das Weingut. Renato persönlich zeigt mir zunächst stolz seinen Weinkeller, in dem viele große Eichenfässer gestapelt sind, die mit einer Sprühanlage regelmäßig mit Wasser befeuchtet werden, um eine gleichmäßige Reifung des Weines sicherzustellen. Danach führt er mich hinauf in das rustikale Kaminzimmer, wo ich an einer riesigen Holztafel Platz nehme, denn ich muss hier ja schließlich auch mal probieren. Renato reicht mir mit selbstsicherer Routine nacheinander neun riesige Kelche mit seinem weißen und rotem Gold, unter anderem Chardonnay, Müller Thurgau, Pinot Gris, Fumin und ein ausgezeichneter Torrette Superior, von dem ich eine Magnumflasche vom Juniorchef Giorgio aufmerksamerweise als Souvenir unter den Arm gesteckt bekomme.
Der Weinanbau ist sehr zeit- und arbeitsintensiv, gerade wenn er wie im Aostatal überwiegend an steilen Berghängen betrieben wird. Wie mir der Bürgermeister von Donnas Amedeo Follioley erklärt müssen pro Hektar Weinanbaufläche 1.800 Arbeitsstunden pro Jahr investiert werden, weil aufgrund des Terrassenbaus keinerlei Maschinen eingesetzt werden können und jede einzelne Rebe von Hand gepflegt und beerntet wird. Die Arbeit und auch mein kurzer Besuch in den steilen Weinbergen erfordert absolute Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. In den Weinbergen befinden sich immer wieder sogenannte Barmets. Barmets sind in den Weinbergfels gebaute Naturweinkeller, in denen auch teilweise die Werkzeuge für die Bewirtschaftung des Berges gelagert werden.
Fraz. Vereytaz, 30
11018 VILLENEUVE (AO)
www.maisonanselmet.it
Mehr Infos zum Maison Anselmet
Das Fest des Brotes
Der wichtigste und bekannteste Käse der Region ist der Fontina, dessen Name ebenfalls eine geschützte Ursprungsbezeichnung ist. Der Käse wird aus Rohmilch von Kühen hergestellt, die unmittelbar nach dem Melken verarbeitet wird. Die Laibe werden zur Reifung in Grotten verbracht, die in die Berghänge geschlagen wurden, und dort auf Kiefernholz gelagert. Täglich müssen sie gewendet und mit Salz abgewaschen werden, um die sich immer wieder bildende Schimmelschicht zu entfernen. Nach drei Monaten erlangt der Fontina seine weiche Konsistenz und seinen cremig-würzigen Geschmack. Er wird sowohl pur gerne genossen, als auch in unzähligen deftigen Rezepten als Zutat verwendet. Und wenn Letzteres, dann niemals sparsam. Neben dem Fontina werden aber auch viele andere Käsesorten im Aostatal erzeugt, wobei auch Ziegen- und Schafsmilch verarbeitet wird.
Was fehlt zu einer guten Brotzeit neben Wein, Schinken und Käse noch? Natürlich: Brot! Deswegen ja auch der Name. Alljährlich feiern alle Gemeinden des Aostatals zusammen das „La Festa del Pane Nero“. Man trifft sich in Gemeinschaftsbackstuben an Gemeinschaftssteinöfen, backt zusammen und feiert das Backhandwerk. Gebacken wird ein einfaches traditionelles Roggen-Weizen-Mischbrot, das bei richtiger Lagerung mehrere Monate haltbar ist. Es wird außen dunkel gebacken mit einer dicken knusprigen Kruste, ist innen weich und luftig und wirkt schön rustikal. Es findet sogar ein Wettbewerb statt, in dem das Beste Brot gekürt wird. Ich begegne dem Brotfest im pittoresken Bergdörfchen La Farettaz, das nahe bei Fontainemore gelegen ist und gut über eine 1,5-stündige Wanderung vom Besucherzentrum des Riserva Naturale Mont Mars aus zu erreichen ist. Der Weg führt über 370 Höhenmeter und etwa 4 Kilometern durch Dorf, Wald, Wiese und über unzählige herabgefallene Maronen, von denen ich mir die Jackentaschen prall vollpacke. Wem der Aufstieg per Pedes zu anstrengend ist, der gelangt auch mit dem Auto über seine serpentinenreiche Straße hinauf.
Oben angekommen wird man mit einer einmaligen Aussicht in das Tal von Fontainemore mit dem dadurch mäandernden Torrente Lys belohnt. Zum Fest del Pane ist heute sogar der Männerchor von Pont-Saint-Martin vor Ort und gibt eine etwa einstündige Kostprobe seiner Sangeskunst in italienisch, französisch und patois (Dialekt der französischen Sprache, Schweizer Französisch). Die gesamte Szenerie aus heimatlichen Gesängen in diesem mittelalterlich wirkenden Bergdorf mit der Aussicht ins Tal in Verbindung mit einigen Caffé Corretto ist so ergreifend, dass einige der Anwesenden zu Tränen gerührt sind.
Loc. Capoluogo
11020 Fontainemore (AO)
www.montmars.it
Selber Bauer sein: Agritourismo im Aoastatal
Wenn man noch eine Unterkunft sucht und sich zudem näher mit der Rohstofferzeugung der aostataler Spezialitäten beschäftigen möchte, kann man beispielsweise das Maison Rosset (ein Agritourismo-Ressort in Nus) besuchen. Der Eigentümer Camillo Rosset zeigt einem gerne die Stallungen seines Betriebes, um einem die landwirtschaftlichen Abläufe zu erklären. Und wer sich traut, darf auch selbst mal Hand anlegen. Und zwar an einer Kuh. Ich traue mich, setze mich auf einen Schemel und nach einer kurzen Einweisung massiere ich tatsächlich Milch in einen Blecheimer, der unter der friedlichen betagten Kuh steht.
Bei Didier Bieller dem landwirtschaflichen Angestellten des Betriebes geht es aber wesentlich schneller, und er melkt insgesamt etwa sechs Liter Milch ab, die direkt danach an die Kälbchen verfüttert wird. Ab heute weiß ich ganz genau, was unter „Stallgeruch“ zu verstehen ist, denn dieser ist nach dem kurzen Besuch kaum noch aus Kleidung, Haut und Haaren herauszuwaschen. Auch dinieren kann man bei Rossets hervorragend. Im wohnzimmerhaften Speisesaal des Anwesens kann man ein sagenhaftes 12 (!)-Gänge-Menü genießen. Ist man bereits nach dem vierten Gang schon ordentlich satt, wird Camillos Schwester Elena, die als Köchin im Ressort arbeitet, gerade erst richtig warm. Ich kämpfe mich schlemmend bzw. schlemme mich kämpfend tapfer durch bis zum dritten und letzten Dessert. Es ist aber auch alles viel zu lecker, um etwas davon verpassen zu wollen.
Soc. Agric. M. R. Maison Rosset ss
Passaggio Rosset, 1 – 11020 Nus (AO)
www.maisonrosset.it/en
Mehr über Agriturismo in Italien:
www.agriturismo.it/de
Die ist nur ein winziger Anriss der kulinarischen Vielfalt der kleinsten Region Italiens, und es lohnt sich unbedingt, das Aostatal auch mit dem Gaumen zu entdecken.
Vielen Dank an Valle d’Aoasta Tourismus für die Einladung zu dieser eindrucksvollen und kulinarischen Reise durch das Aostatal im Norden Italiens.
3 Kommentare zu “Das Aostatal: ein kulinarisches El Dorado”